Eine Amy Winehouse, nur ohne Drogen
Die walisische Sängerin Duffy nimmt die Charts im Sturm
Von Michael Tschernek
Diese Grübchen! Wer zurzeit durch London spaziert, hat viele Gelegenheiten Duffys süsse Grübchen zu studieren. Die hübsche Waliserin blickt von allen Plakatwänden. «Als ich ein Kind war, sagte meine Mutter, man könne darin Kartoffeln verstecken», erzählt die 23-jährige Sängerin. Duffy ist die Popsensation des Frühlings 2008.Ihr Debütalbum «Rockferry» ist in Grossbritannien auf Platz eins der Charts eingestiegen, ihre Single «Mercy» führt die Single-Hitliste seit geraumer Zeit an. Duffys Retro-Songs zwischen Soul, Gospel, Jazz und Pop schallen aus jedem zweiten Londoner Ladenlokal. «Baby, baby, baby, spend your time on me» - Duffys Stimme, die an Dusty Springfield erinnert, überquillt vor Emotionen und Dramatik. Man geht fast auf die Knie.
Erste Erfolge mit walisischen Songs sind ihr heute peinlich
Die Schweizer Plattenfirma hat die Veröffentlichung nun sogar um drei Wochen vorgezogen. So viel versprechend ist der Hype um die blonde Sängerin, deren Aufstieg an Amy Winehouse erinnert. Wobei man sich Duffy als Amy minus deren skandalträchtige Aura vorstellen muss. Drogen findet sie nämlich uncool. «Cool ist für mich etwas anderes. Zudem brauche ich nur ein Glas Wein zu trinken und schon verliere ich die Übersicht: Welchen Tag haben wir denn heute?»
Duffy, die mit vollem Namen Aimee Anne Duffy heisst, stammt aus Nefyn, einer kleinen Gemeinde an der Küste von Nordwales. Der Ort gehört zu dem Teil von Wales, in dem noch überwiegend Walisisch gesprochen wird. Englisch ist eine Fremdsprache. «Nach der Scheidung meiner Eltern zog meine Mutter mit mir und meinen Geschwistern nach Fishguard in Pembrokeshire, der südwestlichsten Grafschaft von Wales», erzählt Duffy, «dort wird der ganze Unterricht auf Englisch abgehalten. Das war eine gewaltige Umstellung für mich.»
Fünf Jahre später zog sie zurück zu ihrem Vater nach Nefyn, trat in walisischen Clubs und im walisischen Fernsehen auf und veröffentlichte eine Platte mit walisischen Songs. Diese Veröffentlichungen werden in ihrer offiziellen Biografie geflissentlich unterschlagen. «Ich habe mehrere Leichen im Keller», gesteht Duffy. «Ich war noch auf der Suche nach meinem Weg und habe diese Sachen auch nicht geliebt.»
Dabei war sie zumindest mit den walisischen Songs sehr erfolgreich. «Ich hatte Glück und wurde von vielen Leuten unterstützt. Aber bei den Soulnummern, die ich heute singe, passt die walisische Sprache nicht so gut. Soul ist sanft und funktioniert einfach besser mit englischen Texten.»
Natürlicher als andere Heldinnen dieser Tage
Schliesslich wird Jeanette Lee, eine der Miteigentümerinnen der legendären britischen Plattenfirma Rough Trade, auf Duffy aufmerksam. Lee übernimmt Duffys Management, räumt der Entwicklung der Künstlerin aber viel Zeit ein und schirmt sie von der Presse ab. «Ich lebte allein in einem kleinen Cottage in Wales. In dieser Zeit habe ich viel Musik gehört und viele grosse Soul- und Gospelsängerinnen wie Millie Jackson, Bettye Swann und Candi Staton erst entdeckt», erzählt Duffy.
Erst vor anderthalb Jahren zog sie nach London. Und schon geht der Hype los. Neben den vielen britischen Sängerinnen, die seit geraumer Zeit die UK-Charts beherrschen - Amy Winehouse, KT Tunstall, Lily Allen, Kate Nash, Amy Macdonald und Adele - überzeugt Duffy vor allem durch ihre natürliche Ausstrahlung. Da erweist sich ihre Kindheit im abgeschiedenen Wales als grosser Vorteil. Ebenso wie ihre Grübchen.
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